Arbeitsprogramm 2023: Zieht die EU-Kommission der Finanzbranche den Stecker?

Es ist ein besonderes Programm – und das nicht nur, weil es die Pläne für die kommenden zwei Jahre abdeckt. Was das EU-Arbeitsprogramm 2023 für die Finanzbranche bedeutet und welche Auswirkungen ein Provisionsverbot haben könnte.

 

Die EU-Kommission scheint sich mit ihrem Arbeitsprogramm 2023 neu aufzustellen und bereits den Grundstein für die kommenden zwei Jahre legen zu wollen. Denn im Europawahljahr 2024 wird erfahrungsgemäß kaum an großen neuen Gesetzgebungsverfahren gearbeitet. Auch angesichts des Zeithorizonts enthält das Programm eine ehrgeizige Agenda, mit der auf die aktuellen Krisen reagiert und gleichzeitig der laufende grüne beziehungsweise digitale Wandel vorangetrieben werden soll.

Insgesamt enthält das Arbeitsprogramm, das sich als Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft versteht und neue Formen der Bürgerbeteiligung in Aussicht stellt, 43 neue Initiativen zu allen sechs politischen Meta-Zielen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen:

  1. Europäischer Green Deal
  2. Digitales Zeitalter
  3. Wirtschaft im Dienste der Menschen
  4. stärkeres Europa in der Welt
  5. Förderung unserer europäischen Lebensweise
  6. Demokratie in Europa

 

Das erklärte Ziel: „Menschen und Unternehmen zu unterstützen und die Union widerstandsfähiger zu machen.“ Ob die geplanten Maßnahmen auf dieses Bestreben einzahlen, darf infrage gestellt werden – das gilt besonders für den Finanzdienstleistungssektor. In diesem Bereich muss das Programm vor dem Hintergrund gesehen werden, dass große Legislativprojekte wie Solvency-II-Review, Geldwäsche, DORA oder FinTech gerade erst zum Abschluss gebracht wurden. Wir befinden uns also ohnehin in einer turbulenten Regulierungsphase.

Darüber hinaus steht ein Mega-Projekt der mächtigen EU-Gesetzgebungsbehörde  kurz bevor. Die EU-Kommission wird voraussichtlich am 3. Mai ein „Maßnahmenpaket zur Erleichterung von Privatinvestitionen und weiteren Vollendung der Kapitalmarktunion“ vorschlagen. Was sich zunächst harmlos anhört, könnte wesentliche Geschäftsbereiche unseres Verbandes berühren – so vermutlich MiFID und PRIIPS. Was genau die EU-Kommission im Rahmen dieser sogenannten EU-Kleinanlegerstrategie vorschlagen wird, ist noch unklar. Es wird erwartet, dass sie sektorübergreifende Regeln plant und den Verbraucherschutz deutlich verschärfen will. Dem Vernehmen nach steht einmal mehr ein Provisionsverbot im Raum.

Provisionsverbot: Der Streit geht in eine neue Runde

Bisher konnte ein solches Verbot in Deutschland erfolgreich verhindert werden. Mit den aktuellen Plänen öffnet sich aber erneut eine alte Debatte: Ruft die Provisionsberatung Fehlanreize hervor? Und ist eine Beratung gegen Honorar hierauf die richtige Antwort? Dr. Helge Lach verneint dies deutlich, zuletzt gegenüber dem Handelsblatt. „Gerade bei Kleinanlegern sind Honorare nicht kostendeckend, das zeigt das Beispiel Großbritannien.“ Dort wurde vor zehn Jahren die sogenannte Retail Distribution Review (RDR) eingeführt, die unter anderem Provisionen für Anlageprodukte abschaffte. Die Folgen macht unter anderem eine Studie der Financial Conduct Authority (FCA) aus dem Jahr 2019 deutlich: Demnach haben rund 40 Prozent der Beratungsunternehmen für Neukunden einen Schwellenwert an verfügbarem Vermögen. Bei über der Hälfte dieser Unternehmen liegt der Schwellenwert bei 50.000 Pfund (ca. 56.000 Euro), die anderen liegen deutlich darüber. Insgesamt verfügt der durchschnittliche beratene Kunde laut Studie über ein Vermögen von über 150.000 Pfund (etwa 170.000 Euro). Zahlen, die belegen: Ein solches Verbot ist mit Sicherheit nicht im Sinne besagter Kleinanleger.

Und nicht nur Letztere leiden unterm Strich, auch tausende Finanzberater werden im Stich gelassen. Auch hierzu findet Dr. Helge Lach klare Worte gegenüber dem Handelsblatt: „Wenn das Provisionsverbot kommt, zieht die Kommission damit einer ganzen Branche den Stecker“. Der Vorsitzende des DUV schätzt, dass bei einer Umstellung auf Honorare nur fünf Prozent der Berater weitermachen würden. Bei Banken und Sparkassen werde sich das Filialsterben zusätzlich weiter beschleunigen, denn „die Filialen finanzieren ihre Kosten zu einem deutlich zweistelligen Prozentsatz aus Provisionserlösen“.

Wie diese Vorhaben zu den generellen Zielen des Bürokratieabbaus passen können, bleibt vorerst noch offen. Klar ist: Die weiteren Entwicklungen hängen hauptsächlich von den handelnden Akteuren im Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten ab. Für uns ein wichtiger Grund, die Bewegungen sehr genau zu beobachten.

Kleine Fortschritte sind immerhin im Rahmen eines offenen Finanzwesens zu vermerken. So soll der Datenzugang im Finanzdienstleistungssektor durch eine Gesetzesinitiative weiter verbessert werden. Letztere wird laut Plan bereits im zweiten Halbjahr 2023 vorgelegt. Für denselben Zeitraum ist ferner eine Überarbeitung der Zahlungsdienstleistungsrichtlinie geplant, um Innovationen zu fördern und Online-Zahlungen einfacher und sicherer zu gestalten sowie die Nutzer besser vor Betrug und Missbrauch zu schützen.