Interview mit Nicola Beer (Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments) und Dr. Joachim Schuster (Mitglied des Europäischen Parlaments) zu der EU-Kleinanleger-Strategie, einem Provisionsverbot und dem Weg zur Kapitalmarktunion.
Die EU-Kommission will den Verbraucherschutz und den Marktzugang für Kleinanleger verbessern. Doch sind die Pläne der EU tatsächlich ein geeignetes Mittel, um mehr Investmentfreude zu erzeugen? Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sieht großen Handlungsbedarf. Im Interview warnt sie allerdings davor, dass die EU-Regulierung kein Hindernis für die Altersvorsorge und den Zugang zu Kapitalmärkten sein darf. Dr. Joachim Schuster, Mitglied des Europäischen Parlaments, sieht besonders auf dem Weg hin zu einer Kapitalmarktunion noch viele Hürden und plädiert im Sinne der Privatanleger für mehr Transparenz.
Frau Beer, mit Blick auf die Vielzahl bestehender Regeln: Besteht nach Ihrer Auffassung überhaupt noch Handlungsbedarf?
Nicola Beer: Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun, damit Kleinanleger in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern eine aktivere Rolle einnehmen. Anders als etwa in den USA nimmt bei uns nur eine geringe Anzahl von Kleinanlegern wirklich aktiv am Markt teil. Hier müssen wir uns dringend verbessern. Dabei geht es aber nicht bloß darum, neue Regeln zu schaffen, die bestehende Strukturen weiter aufblähen.
Was muss sich aus Ihrer Sicht konkret ändern?
Nicola Beer: Verbraucherschutz ist aus meiner Sicht ein wichtiger Aspekt. Kleinanleger müssen Vertrauen in den Markt gewinnen. Es geht also vor allem um Transparenz als Grundlage für eine informierte eigenständige Entscheidung. Nehmen wir das Beispiel Kosten: Es darf nicht sein, dass ein Kleinanleger keine Ahnung von variablen und fixen Kosten im Handel hat. Gleiches gilt für Chancen und Risiken verschiedener Anlageprodukte – Aufklärung ist das zentrale Stichwort.
Wie schafft man es aber über Elemente wie transparente Kostenstrukturen hinaus, das Vertrauen der Anleger zu gewinnen?
Nicola Beer: Es ist wichtig, dass die Menschen die Strukturen und Produkte verstehen. Dafür gilt es, inhaltliche Barrieren aus dem Weg zu schaffen. Aus diesem Grund bedeutet Transparenz aus meiner Sicht auch eine verständliche, leicht erfassbare Darstellung. Nur so können wir Anleger abholen und Vertrauen aufbauen – und nur so schaffen wir es, mehr Menschen für den Kapitalmarkt zu begeistern.
Ein Provisionsverbot für die Anlageberatung im Rahmen von MiFID II ist offenbar wieder im Gespräch. Wie stehen Sie zu dem Thema?
Nicola Beer: Grundsätzlich hat die Beratung und auch das Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung in Deutschland immer sehr gut funktioniert – Gerade, weil Anleger die freie Auswahl zwischen verschiedenen Beratungsformen haben. Um jedem Menschen das für ihn jeweils geeignetste Produkt zu ermöglichen, brauchen wir weiterhin das Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung.
Dr. Joachim Schuster: Ich frage mich auch: Warum überlassen wir die Wahl nicht dem Verbraucher? Der Schlüssel zu einem funktionierenden Verbraucherschutz und fairen europäischen Finanzmarkt liegt aus meiner Sicht zum einen in der der Transparenz und zum anderen in der Vermeidung von Interessenkonflikten. Ich stimme ja zu, dass die Provisionen im Alltag trotz bestehender gesetzlicher Normen leider noch intransparent sind. Aber statt Provisionen zu verteufeln, sollten wir eher überlegen, wie wir die Strukturen transparenter gestalten können. Heute ist für mich als Verbraucher häufig unklar, ob es sich bei einem Produkt wirklich um das beste Angebot handelt, oder nur um ein Produkt, für das mein Berater die höchste Provision kassiert oder das er als spezielles Hausprodukt verkaufen muss.
Aber würden Kleinanleger nicht durchaus auch profitieren, wenn diese Unsicherheit der Vergangenheit angehörte?
Nicola Beer: Das denke ich nicht. Am Ende schadet ein Provisionsverbot allen Beteiligten – auch den Kleinanlegern. Denn gerade das Verhältnis von hohen Kosten zu geringerem Anlagebetrag macht eine Honorarberatung besonders für Kleinanleger oftmals unattraktiv. Die Folge: Viele werden eher auf eine Anlage verzichten, zum Beispiel zur Altersvorsorge. Damit wäre niemandem geholfen. Unsere Ambition sollte viel eher sein, europäisch zu denken und so attraktiv zu sein, dass wir auch Anleger aus anderen EU-Staaten für Deutschland gewinnen und umgekehrt. Hier sollte die Kommission ansetzen.
Über die Notwendigkeit einer Kapitalmarktunion besteht weitgehender Konsens. Aber was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden auf dem Weg dorthin, Herr Schuster?
Dr. Joachim Schuster: Wenn die Kapitalmarkunion das Ziel ist, benötigen wir unbedingt gemeinsame Regeln. Sind diese nicht rechtzeitig etabliert, ist besonders der Mix aus einerseits einem Durcheinander verschiedener nationaler Regelungen und andererseits einer Liberalisierung des Finanzmarktes in Europa auf Vertriebsebene eine Gefahr. Die standortunabhängigen Fintechs würden sich in diesem Fall nämlich einfach die Rosinen herauspicken. Das würde nur zum Unterlaufen der bestehenden nationalen Normen und Gesetze führen.
Geprägt durch das Niedrigzinsumfeld stehen die Kosten von Finanzprodukten im Fokus der Politik. Ist diese Sichtweise in Zeiten wieder steigender Zinsen und nach 10 Jahren Aktienhausse nicht überholt?
Dr. Joachim Schuster: Aufgrund der nun wieder steigenden Zinsen, steigender Staatsverschuldung und hoher Inflationsraten muss man sich auf die Stabilisierung des Marktes konzentrieren. Allerdings sollte man auch die Kosten von Finanzprodukten im Blick haben. Es gilt zum Beispiel zu beachten, dass von den steigenden Zinsen nicht nur die Finanzunternehmen im Zusammenhang mit Provisionszahlungen profitieren, sondern auch die Kunden fair behandelt werden. Sie sehen: Transparenz ist auch hier das A und O.